Das Unvermeidliche

Carpe Diem

Das ist für mich so’n Spruch, der auf dem Rucksack von 14-jährigen Mädchen steht. Wenn sie dann 20 sind, steht da „Carpe the Fuck out of that Diem“ – Ist immer noch das Gleiche. Ist auch ein guter und richtiger Spruch, kommt ja immerhin vom Marcus Aurelius, also muss er wahr sein. Nur macht er mich nicht besonders an. Wie formuliere ich das ganze so, dass es auch meinem melancholischen Gemüt entspricht und ich darin mehr sehen kann als ein Meme?

Auch hier wurde ich wieder bei Phil Stutz fündig und ich finde, er hat etwas auf eine Art zusammengefasst, die eine große Lüge unserer modernen Gesellschaft entlarvt: Es gibt keinen Flow – zumindest nicht, wenn es darum geht, etwas Großes zu erreichen oder sich zu verbessern.

Ein Beispiel aus dem Sport, weil es sehr schön greifbar ist: Ein langer Dauerlauf, in genau der richtigen Geschwindigkeit und in genau der richtigen Läge ist dafür prädestiniert, dass man währenddessen in den Flow kommt. Will man aber seine Durchschnittsgeschwindigkeit erhöhen oder längere Strecken laufen, so kommt man um hartes Training nicht herum. Da ist kein Platz für Flow, da beißt man sich durch und quält sich bis über seine Schmerzgrenze hinaus.

Was es im Leben gibt, sind drei Dinge, denen man nicht entrinnen kann: Schmerz, Ungewissheit und ständige Arbeit. Ahhh, wunderbar, damit kann ich etwas anfangen. Vorher noch nen Kaffee rein – und ich kann in den Tag starten…

Das Unvermeidliche

Vorneweg: Diese drei Gewissheiten im Leben, mit denen wir tagtäglich leben müssen, klingen ziemlich negativ. Mich mag das reizen, aber das geht sicher nicht jedem so. Von meiner Warte aus sehe ich hier auch nicht etwas Negatives.

So verstehe diese drei Gewissheiten: Sie gehören zu einem Prozess, bei dem man trotz aller Widrigkeiten sein Ding durchzieht und am Ende den hart verdienten Erfolg feiert. Diesen Prozess, muss man durchlaufen, um zu wachsen und zu einem Punkt zu kommen, an dem man noch nie vorher war. Ist man dort angekommen, kann man sicher auch noch eine Ehrenrunde im Flow drehen.

Schmerz

… und seine Synonyme Kummer, Leid und Mühen. Dinge, die man erleiden, ertragen, erdulden, durch die ich mich durchkämpfen muss. Die gibt es jeden Tag. Manche sind kleiner, manche sind größer, manche begleiten mich ein Leben lang.

Ich denke der wichtige Punkt hier ist, dass man immer durch irgendeine Form von Schmerz, vor allem in Form von Mühen, geht, um etwas zu machen, dass man nicht machen müsste. Dinge zu tun, ohne äußeren Incentive – aus reiner Eigenmotivation. Für mich ist das, nicht nur in meinen Tiefphasen, noch immer die schwierigste Übung. Vor allem, wenn es darum geht, ein persönliches Projekt von mir Wirklichkeit werden zu lassen. Eine Arbeit, die nur zum Ziel hat, mir selbst einen Wunsch zu erfüllen.

Aus irgendeinem Grund empfand ich gerade diese Dinge als unwichtig. Sobald ich mein Tagewerk erledigt habe, habe ich alle weiteren Arbeiten eingestellt. Allein das Gefühl alle meine „Pflichten“ erfüllt zu haben, bildet eine Barriere, die ich nur unter großer Anstrengung durchbrechen kann. Ganz einfach fällt es mir da, aufzugeben und „nichts“ zu tun. „Ist ja alles gemacht“. In Wahrheit beginnt aber genau hier die richtige Arbeit, die unter Mühen und Schmerzen erledigt werden muss, um etwas Außergewöhnliches, für sich selbst zu erschaffen.

Fast alle meine täglichen Ziele, die ich mir jeden Monat aufs Neue stelle, sind Aufgaben, zu denen ich mich zwingen muss, aber von denen ich weiß, dass sie mich oder eines meiner Projekte voranbringen. Ich gehe bewusst in das Tal der Tränen rein, weil ich weiß, dass am Ende des Weges nur Gutes auf mich wartet.

Ungewissheit

Keiner von uns weiß, was kommt und es spielen viele Elemente eine Rolle bei allem, was passiert. Die Chaostheorie sagts: Ein Schmetterlingsschlag hier in Deutschland und in China fällt ein Sack Reis um. Und jeder von uns könnte morgen einfach tot umfallen.

Es gibt hier meiner Meinung nach zwei Aspekte, die wichtig sind. Zum einen: Die Ungewissheit ist nicht etwas, was uns davon abhalten soll zu planen, Projekte anzugehen und unsere Träume zu verwirklichen. Sie ist ein konstanter Begleiter, ohne den es in dieser Welt keine Herausforderungen gäbe. Und oft ist es gerade die Unsicherheit, die in eine Situation die Würze hineinbringt. Ohne Unsicherheit würde niemand einen gewaltigen Erfolg, den man trotz aller widrigen Umstände errungen hat, jemals feiern.

Der zweite Aspekt hiervon: Flexibel bleiben. Wie gesagt, du weißt nicht was kommt, egal wie penibel du geplant hast. Und wenn es mal nicht so kommt, wie geplant, dann gilt es diese neue Realität zu akzeptieren. Hast du einen Plan B? – gut. Hast du keinen, dann musst du dir jetzt etwas Neues einfallen lassen. Das Leben wartet nicht auf dich. Stehst du an der Klippe, musst du springen, ein Zurück gibt es nicht.

Ich habe mir hierzu in meinem Kalender einen wöchentlichen Reminder gemacht: „Did you do something that scared you?“ Meist kommen mir hier soziale Situationen in den Sinn: allein in eine Bar reingehen und ein Gespräch anfangen zum Beispiel. Ich schaffe es auch nicht jede Woche eine solche ungemütliche Situation, in der es ein Maximum an Ungewissheit gibt herbeizuführen, aber ich gebe mir Mühe. Bisher hat es sich immer ausgezahlt.

Ständige Arbeit

Ich war mir zuerst nicht sicher, was ich damit anfangen kann, und musste eine Weile darüber nachdenken. Vermutlich ist dieser Punkt aber so subtil und allgegenwärtig, dass man ihn einfach übersieht. Ich verstehe ihn so:

Jede wache Minute, in der ich eine Entscheidung treffe und meinen Körper durch diese Welt bewege, passiert etwas, das für mich die Zukunft formt. Mal ist es eine kleine Handbewegung, mit der ich ein leckeres Stück Kuchen in den Mund schiebe, mal ist es die Entscheidung meinen Job zu kündigen und einen neuen zu suchen.

Irgendwann in der Zukunft werde ich wahrscheinlich beiden Handlungen eine andere Gewichtung zuweisen aber in dem Moment, in dem sie ablaufen, sind sie absolut gleichwertig. Mich würde interessieren, zu welchem Zeitpunkt mein Gehirn mehr Neuronen abfeuert: beim Biss in einen Kuchen oder der bewussten Entscheidung, den nächsten Karriereschritt zu gehen. Was meint ihr?

Wir sind alle stetig dabei unsere Zukunft zu formen und wenn wir wollen, dass diese Zukunft eine ist, die unseren Wünschen entspricht, dann sollten wir versuchen jede unserer Handlungen bewusst ausführen.

Für mich zum Beispiel ist Prokrastination durch Ablenkungen mein größter Feind. Ich bin sehr anfällig dafür auf irgendwelchen Shit aufzuspringen und ehe ich mich versehe, habe ich 5 Stunden mit YouTube-Tutorials zu Fahrradmechanik verbracht. Ist auch Arbeit und ich habe etwas gelernt, aber bewusst, war das nicht.

Führe ich meine Handlungen bewusst aus, so sind sie fast immer eingebettet in einem größeren Kontext. Jedes Stück Kuchen ist Teil meiner veganen Ernährung und wird nur in dem korrekten Zeitraum meines Intervallfastens genossen. Es wurde mit Bedacht gebacken und enthält Makro- und Mikronährstoffe, die ich gerade brauche. Jede bewusste Handlung bekommt somit Sinn und erfüllt einen Zweck. Sie wird von ganz allein Teil eines Projektes, sei es Arbeit an etwas Äußeres oder Arbeit an mir selbst.

Diese drei Aspekte des Unvermeidlichen organisiere ich für mich in meinem Mantra, das ich mir täglich vorlese. Um dieses Mantra zu erstellen, analysiere ich einmal im Monat meine Einträge in meinem täglichen Journal und definiere daraus Regeln, Aufgaben und Projekte, an die ich mich halten und die ich angehen will. So sorge ich dafür, dass ich meine Energie in Dinge reinstecke, die für mich Sinn machen und mich weiterbringen.